Yijing
Die ba gua
Die Acht Trigramme (chines. ba gua) bestehen aus den zwei Hälften eines Hexagrammes. Sie verkörpern elementare Naturkräfte und ihre Eigenschaften (Himmel und Erde, Feuer und Wasser etc.) und stellen ein fundamentales Ordnungsprinzip des Universums dar. Wie die Hexagramme beruht auch das Verständnis der ba gua auf der naturphilosophischen Lehre von Yin und Yang.
Die ba gua und ihre reichhaltige Symbolik geniessen im Fernen Osten noch heute überaus grosse Popularität. Sie werden nicht nur auf die Jahreszeiten und Himmelsrichtungen, sondern ebenso auf die Mitglieder einer Familie, auf Emotionen und Beziehungen, auf topographische Phänomene (Fengshui), auf den Körper und seine Organe (TCM), auf physische Objekte, Aktivitäten und Zustände usw. bezogen. Die Ganzheitlichkeit der Zeichen zeigt sich exemplarisch in der Flagge Südkoreas: vier Trigramme umgeben den Kreis von Yin und Yang als Sinnbild der harmonischen Vereinigung von Gegensätzen. Oder wie in Thailand überall zu sehen: Ein über der Haustür aufgehängtes Täfelchen mit den acht Zeichen verspricht den Bewohnern Glück und Segen …
Die ba gua und ihre verschiedenen Anordnungen als kosmologische Modelle erscheinen seit dem 3.Jh.v.Chr. in der Kommentarliteratur zum Yijing.
Die ba gua im Detail

乾
qián / Der Himmel
Das Schriftzeichen
Die Etymologie von qián lässt sich kaum mehr rekonstruieren. Einige Autoren sehen in qián den Polarstern, andere die Sonne. Das Zeichen kommt nur im Yijing vor. In der Fassung von Mawangdui – einem der ältesten Yijing-Manuskripte – wird qián mit der Variante jian ersetzt. Jian als „Riegel oder Türbolzen eines Schlosses“ besitzt sexuelle Anklänge. Schon früh wurde qián als „wirkender Himmel“, der die Jahreszeiten und die Rhythmen von Tag und Nacht strukturiert, verstanden. Eine alternative Lesung des Schriftzeichens ist gan = trocken, dürr.
Das Trigramm
Die drei ausgezogenen Linien repräsentieren die reine, uneingeschränkt sich ausbreitende Yang-Energie.
Himmel und Erde
Qián, der Himmel und kūn, die Erde stehen für Zeugung und Fruchtbarkeit. Die Grosse Abhandlung (zweite Hälfte 3.Jh.v.Chr.), einer der bedeutendsten Kommentare zum Yijing, erklärt: „Qián ist im Ruhen in sich gekehrt, in der Bewegung gerade gerichtet. Kūn ist in der Ruhe geschlossen und in der Bewegung sich öffnend“. Der Hintergrund des Bildes ist offenkundig: Zusammenziehen und Ausstrecken ist die Bewegung des Penis, Öffnen und Schliessen jene der Vagina – aus der Paarung von Himmel und Erde entstehen alle Wesen. Qián und kūn werden auch als Urformen der Geschlechtsorgane betrachtet und mit kosmologischen Vorstellungen identifiziert (Schilling). Ihre Bewegungen lassen die Grösse und Weite der Welt entstehen. Aus dem gleichen Kommentar stammt auch das Bild von qi, der Vitalkraft, als sich öffnende und schliessende Türflügel, die das Blühen und Vergehen der Lebewesen bewirken.
Grundbedeutung
Qián als „wirkender Himmel“ gestaltet „kräftig, stark, beständig und dauerhaft“. So steht qián für aktive Energie, für eine zielgerichtete Vorwärtsbewegung. Davon abgeleitet symbolisiert qián männliche Macht und Herrschaft. Das Shuogua, der Kommentar zu den Trigrammen (Ende 3.Jh.v.Chr.), assoziiert qián mit Drachen, mächtigen Himmels- und Wassergeistern, die als Sinnbilder der Yang-Kräfte die Erde mit Regen befruchten. Richard Wilhelm identifiziert qián mit dem Schöpferischen Prinzip, Offermann spricht von Vorwärtsdrang, rationalem Erfassen und Denken, von Zielstrebigkeit und Durchsetzungsvermögen als herausragender Eigenschaft von qián.
Die kosmischen Rhythmen formen die Lebensbedingungen auf unserem Planeten auf natürliche Weise. Qiándào, der „Weg des Himmels“, entspricht dem westlichen Begriff „Naturgesetz“.

坤
kūn / die Erde
Das Schriftzeichen
Wie qián kommt das Zeichen kūn nur im Yijing vor. Auch dessen Etymologie ist unklar. Möglicherweise bezeichnete kūn anfänglich ein im Kult für Erdgottheiten verwendetes Gerät. Der Name übertrug sich später auf die Erde selbst (Schilling). Das Mawangdui-Manuskript verwendet nicht kūn, sondern das Zeichen chuan = Fluss. Chuan ist der konstant dahinfliessende Strom, die Flussquelle, der Flussgeist.
Das Trigramm
Das Trigramm besteht aus drei geteilten Linien – „in der Mitte bzw. im Innern geöffnet, um aufnehmen zu können“ – welche die reine Yin-Kraft symbolisieren.
Himmel und Erde
„Qián und Kūn sind das Gewebe der Wandlungen“ (Grosse Abhandlung). Qián verursacht und erzeugt, kūn empfängt und nährt. Kūn steht für die weibliche Fruchtbarkeit, die austrägt und Nachkommenschaft gebärt. Die Erde wird deshalb wörtlich als hou = dick bezeichnet (Tuan-Kommentar). Damit eng verwandt ist der Sinngehalt von chuan als (Lebens)Strom oder Lebensader. Während durch die „Drehung der Yang-Drachen am Himmel“ die Jahreszeiten entstehen, finden sich in kūn Motive der Ausdehnung des Reiches in die vier Himmelsrichtungen. „Weit“ steht für kūn im Gegensatz zu „gross“ für qián (Schilling).
In der Entstehungszeit des Yijing (9./8.Jh.v.Chr.) war die Charakterisierung des Himmels als einer männlichen und der Erde als einer weiblichen Macht noch nicht entwickelt. Erst unter konfuzianischem Einfluss (ab dem 4.Jh.v.Chr.) wurde das Primat des Himmels formuliert: „Der Himmel ist oben, die Erde unten. Es ist das dao der Erde, dem Himmel zu entsprechen“. Dieses Gefälle schuf die Voraussetzung für das traditionelle Rollenverständnis des „herrschenden Mannes“ und der „gefügig sich unterordnenden Frau“. Die frühe daoistische Philosophie jedoch betont den Vorrang des mit der weiblichen Fruchtbarkeit gleichgesetzten Wassers, das als Voraussetzung jeglichen Lebens und als unversiegbarer Strom der Yin-Energie alle Wesen durchdringt.
Grundbedeutung
Die reine Yin-Energie wirkt aufnehmend, nährend, ausformend. Kūn ist latente Potenzialität, ein „grosses unbebautes Feld der Möglichkeiten“ (von Flüe). Nichts ist akzentuiert, kūn ist Offenheit auf allen Ebenen des Seins. Wilhelm betont die Hingabe und Empfänglichkeit, das geduldige Ausharren, bis etwas reift. Offermann spricht von einem instinktiven Gespür, was trägt und von der ausgeprägten Fähigkeit, sich leiten zu lassen und hinhören zu können. Das Shuogua, der Kommentar zu den Trigrammen, assoziiert kūn mit der sanften wie auch ausdauernden Kraft der Stute, des weiblichen Pferdes, welches über die Weiten der Erde galoppiert.

坎
kăn / Das Wasser
Das Schriftzeichen
Kǎn stellt eine Höhlung, eine Falle, eine Grube oder einen Abgrund dar. Damit verbunden ist die Gefahr des Hineinstürzens (Schilling).
Das Trigramm
Das Yang in der Mitte, ein „in der Tiefe strömender Fluss“, wird von zwei Yin flankiert. Vertikal betrachtet ist die Gestalt des Trigramms identisch mit der leicht geschwungenen, ursprünglichen Schriftform für „Wasser“. „Es ist das Bild eines Flusses mit Wirbeln und Sandbänken, wie man sie sieht, wenn man auf einem erhöhten Ufer steht und den Flusslauf betrachtet“ (Cecilia Lindqvist).
Kǎn und lí – Wasser und Feuer
Im Fernen Osten geniessen die Paartrigramme kǎn und lí als Synonyme für Körper und Geist hervorragende Bedeutung. Wie Yin und Yang versinnbildlichen Wasser und Feuer eine Dualität in Natur und Kosmos, die sich in zahlreicher Gestalt manifestiert. In der Inneren Alchemie des Daoismus bsp. ist es die Aufgabe des Adepten, in der sexuellen Vereinigung und durch fortgeschrittene Methoden der Meditation das innere Yin von lí – die Geisteskraft – mit dem inneren Yang von kǎn – der Lebenskraft des Körpers – miteinander zu verschmelzen, um das Elixier der Unsterblichkeit zu erlangen (Minford). In der Mythologie zieht sich die Sonne von lí in die Flüsse zurück, was ihr Erneuerung und Kraft gibt. Nach C.G. Jung ist lí das in der Tiefe von kǎn eingeschlossene Licht (Yang), das im Menschen innewohnende Selbst, das durch Bewusstwerdung und Selbstverwirklichung zum Leuchten kommen soll.
Die Grundidee
Fliessendes Wasser – ein Sinnbild der Zeit und des Lebens. Wasser ist lebensnotwendig, ist zugleich schwach und stark, nährend und zerstörend. Ein berühmter Mythos des Alten China erzählt von der Bedrohung durch verheerende Überschwemmungen und Hochwasser der reissenden Flüsse (des Gelben Flusses, des Jangtse u.a.), die durch das Werk des Grossen Yu, der Kanäle und Abflüsse baute, eingedämmt wurde. Der Fluss des Wassers, der „weder Tag noch Nacht kennt“ (Konfuzius), schafft durch sein stetes Strömen und Auswaschen festen, felsigen Talgrund. Laotse wiederum preist das Wasser als alles belebende Urkraft des dao sowie dessen Weichheit und Nachgiebigkeit, die durch ihr stetes Fliessen selbst einen Fels auszuhöhlen vermag („das Schwache besiegt das Starke“).
Die vielfältige Symbolik und Ambivalenz des Wasser-Elementes ist sprichwörtlich: Der Weg von kǎn führt zu Kontakt mit den „Grundwassern des Lebens“, doch lauert stets die Gefahr, von Untiefen und Strudeln mitgerissen zu werden.

艮
gèn, der Berg
Das Schriftzeichen
Das Schriftzeichen gèn zeigt einen Menschen mit weit aufgerissenen Augen. Dies evoziert eine verweilende, prüfende Betrachtung, vielleicht ein „bannender Blick“ (Schilling). Kunst und Smith interpretieren gèn als „spalten, an etwas haften, festhalten“, evtl. im Zusammenhang mit der Tötung von Opfern im Ahnenkult. Spätestens seit der Frühen Han-Zeit wandelte sich das Verständnis des Zeichens grundlegend in die traditionelle Bedeutung von „Stille, Beherrschung und des Innehaltens“. In frühen Transkriptionen wird das Zeichen zusätzlich mit dem Baum-Element geschrieben und erzeugt damit die Vorstellung der „Wurzel bzw. eines Stammes, der in etwas wurzelt“ – ein Aspekt, der im Verständnis des Zeichens in der Mawangdui-Version mitschwingt (Hertzer).
Das Trigramm
Ein hartes Yang bedeckt zwei weiche Yin. Die Yang-Linie symbolisiert die Spitze eines Berges, der in den Himmel ragt. Die majestätische Yang-Gestalt eines Berges beherbergt in ihrem Inneren die Empfänglichkeit der Yin-Kraft.
Die Grundidee
Festigkeit, Stille, Unbewegtheit und Verdichtung. Das formgebende und begrenzende Prinzip, welches zur Vollendung bringt. „Der Einhalt gebietende Berg“ besitzt einen hohen Grad an Bestimmtheit (von Flüe). In gèn erreicht jede Bewegung ihr natürliches Ende und kommt zur Ruhe. Das Shuogua, der Kommentar zu den Trigrammen, beschreibt das Innere des Berges als geheimnisvollen Raum der Entstehung neuen Lebens: Der eine Landschaft dominierende Berg versammelt Wolken, nimmt ihren Regen auf und lässt ihr Wasser geläutert wieder in Quellen hervortreten. In konfuzianischem Verständnis ist der Berg die Verkörperung kraftvoller Ruhe, der Kontemplation und Meditation. Berge sind numinose Orte, wo Menschen der Sphäre der Geister nahe kommen. Berühmt wurden die „Fünf heiligen Berge“ des Alten China als Rückzugsgebiete von Gelehrten, Malern, Poeten und Eremiten. Der Schatten von gèn liegt in einer hemmenden Unbeweglichkeit und Fixierung, die zu Erstarrung und Verhärtung führt.
Die anhaltende Bewegung von gèn ist der polare Gegensatz zur dramatischen Impulsivität des Donners zhèn.

離
lí, das Feuer
Das Schriftzeichen
Lí ist ursprünglich der Name der Goldamsel (Oriolus chinensis). Dieser gelbe Vogel ist ein Emblem der Sonne. Im „Buch der Lieder“ wird der sanfte Gesang des Pirols oft mit Trauer und Besorgnis in Verbindung gebracht und gilt daher als unheilvolles Vorzeichen, doch weckt er anderseits als Bote des Frühlings eine sehnsuchtsvolle Vorfreude (Schilling, Rutt, Kunst). Das Mawangdui-Manuskript besitzt „luo“ als Lehnschreibung von lí in der Bedeutung eines Netzes, womit sich etwas fangen lässt (Hertzer). Die ähnliche Lautung von lí = Sonne und li = (aneinander)haften, Paar, könnte die Grundlage ihrer gegenseitigen Entsprechung sein, die im Yijing auf lí = anhaften übergegangen ist (Schilling).
Das Trigramm
Ein weiches Yin in der Mitte zweier fester Yang evoziert das Bild eines inneren offenen Raumes, eingebettet in einen festen Körper. Das Schöpferische von qián hat die zentrale Linie von kūn, der Empfänglichkeit der Erde, in sich aufgenommen und wird dadurch hell, warm und klar. So entsteht lí, das Feuer (Wilhelm).
Kǎn und lí – Wasser und Feuer
Kǎn und lí – Kälte und Wärme, Wasser und Feuer – bilden die Grundvoraussetzungen jeglichen Lebens. Obwohl ihrer Natur nach absolut gegensätzliche Elemente, gelten kǎn und lí noch heute im Fernen Osten als populäres Sinnbild von Ganzheit und Harmonie.
Die Grundidee
Feuer, Sonne, Wärme, Licht, Helligkeit. Feuer bedarf als reine Energie der Materie, um Licht und Wärme erzeugen zu können. In lí entsteht Bewusstsein, Einsicht und Erleuchtung. „Wo Yang zündet, ist lí“: die kreative Kraft des Yang verdichtet sich in lí wie in einem Brennspiegel. Das Shuogua, der Kommentar zu den Trigrammen, bezeichnet lí auch als (ver)blendenden Blitz, als versengende Hitze, Trockenheit und Dürre. Ein funkenstiebendes Feuerwerk begeistert, doch droht dieser Sprunghaftigkeit ein jähes Verlöschen.

兌
duì, der See
Das Schriftzeichen
In den Orakelknochen-Inschriften erscheint das Zeichen als Zusammensetzung der Ideogramme „sprechen, atmen“, „Mund“ und „Person“. Eine mögliche Interpretation ist „lächelnde Linien über einem Mund“ (Gao Hongjin). Dùi gehört zu einer grossen Wortfamilie, die sich um die Grundbedeutung „lichten, lösen, klären“ dreht. Dùi wird auch als „yu“ und „yue“ im Sinn von „freudig gelöst“ gelesen (Schilling). Andere Autoren sehen im Bild des geöffneten Mundes von dùi den entweichenden Atem, den Lebenshauch qi. Das Mawangdui-Manuskript schreibt anstelle von dùi das Zeichen duo. Der Akzent von duo „auflösen“ liegt indessen auf „wegnehmen“ und „abhanden kommen, verlieren“ (Hertzer).
Das Trigramm
Eine sanfte Yin-Linie liegt über den beiden festen Yang. Durch diese Öffnung dringen stimulierende Impulse in das Innere der Yang. Die der Yang-Kraft innewohnende Tendenz zur Härte wird besänftigt und gelockert. Als Naturbild stellt das Trigramm einen See dar: Das Yin symbolisiert den glatten Wasserspiegel, die beiden Yang die unergründliche Tiefe des Gewässers. Hertzer deutet das obere Yin (in Übereinstimmung mit dem Schriftzeichen duo der Mawangdui-Version) als kleinen Vogel, der jemandem davon fliegt (aus der Hand der beiden Yang) als Sinnbild der schwindenden Yin-Kraft, die dem Yang allmählich weicht.
Die Grundidee
Das stille, tiefe Wasser des Sees weckt Freude und Inspiration, Gelöstheit und Heiterkeit. Dùi ist anregende Anschauung, kreativer Anreiz, wirkt als Zauber der Anziehung und Erotik. Die Qualität von dùi ist eng verwandt mit der altgriechischen „aísthésis“, der sinnlichen Wahrnehmung und Empfindung sowie der Eigenschaften, die beeinflussen, wie etwas auf uns wirkt. Im Schatten „verdampft“ der glitzernde See zu einem trüben Sumpf, die über ihm liegenden Nebel verschleiern den Blick, die Dinge verlieren ihre Konturen in wolkigem Dunst.

震
zhèn, der Donner
Das Schriftzeichen
Zhèn ist der krachende Blitzknall, der Donner. Im Buch der Lieder (Shijing) wird zhèn verwendet, um das bewegende Ereignis einer Geburt zu umschreiben. Das Zeichen bedeutet auch „schwängern“ und „erschüttern“ (Schilling). Nach Marcel Granet „schüttelt“ im Frühling der Donner den Boden der Erde und lässt die in der Winterruhe eingeschlossenen Drachen aus ihrem unterirdischen Rückzugsort hervortreten. Danach können die Menschen ihre Felder wieder bestellen.
Das Trigramm
Die ungestüm empor dringende Yang-Kraft bahnt sich ihren Weg von unten/innen und wird von den beiden Yin bereitwillig empfangen.
Die Grundbedeutung
Neues will ans Licht, will entstehen, will sich zeigen. Zhèn ist Geburt, Wiedergeburt, ein impulsives Aufbrechen der wiedererwachenden Frühlingskräfte. Der Donner wirkt als elektrisierender Paukenschlag, als ein Er(d)beben, als jäher Vulkanausbruch mit einer Wucht, die mitzureissen und zu überschwemmen droht. Es brechen Dinge hervor, die sich (schon lange?) angestaut haben. Zhèn lässt erzittern und erbeben, aufschrecken und aufrütteln. „Heftige Gewitter, Blitz und Donner zeigen die Natur von ihrer eindrucksvollsten, aber auch von ihrer bedrohlichsten Seite“ (Minford). In der Sexualität ist zhèn das erregende Prinzip.

巽
xùn / der Wind
Das Schriftzeichen
Xùn auf den Orakelknochen-Inschriften zeigt zwei kniende Menschen, die im Ahnentempel Opfer darbringen. Dieses Niederknien (vor dem Kaiser) verbreitete sich im Fernen Osten zu einem charakteristischen Merkmal der Ehrerbietung. Umgekehrt zeigte sich die kultivierende Macht des Herrschers, die sich überall im Reich ausbreitet „wie der Wind, der über die Ländereien weht und das Gras beugt“. Diese berühmte Metapher der Herrschaft wird im Yijing auf alle Arten von Einflüssen, guten wie schlechten, übertragen (Schilling).
Das Trigramm
Das Yin begegnet von unten/innen den beiden starken Yang. Wie Wasser Felsen als Hindernisse umspült, kann das weiche Prinzip dem Harten nicht direkt und aktiv entgegentreten. Der Erfolg des Yin liegt in der subtilen aber steten Einflussnahme, die sich nach einer gewissen Zeit jedoch deutlich zeigt.
Die Grundidee
Sanfte Durchdringung. Wie der Wind, der in alle Ritzen und Spalten weht oder wie die Wurzeln eines Baumes, die in das Erdreich dringen. „Steter Tropfen höhlt den Stein“ – Eindringlichkeit erzeugt allmähliche Wirkung. Ein behutsames Vorgehen, Schritt für Schritt, langsam Gestalt annehmend. Eng verwandt mit xùn ist das qi der Traditionellen Chinesischen Medizin, der Atem, der Hauch, die Lebensenergie, die es zu pflegen gilt. Die Schattenseiten von xùn liegen in Auflösung und Zersetzung der Form („wie Wind der Wolken auflöst“) sowie in einer Bedächtigkeit und Unentschiedenheit, die das Ziel aus den Augen verliert.